Wie bin ich denn so tief in die Angst hineingeraten?
Ein Tag von 40 Jahren
Nach einer unruhigen Nacht klingelt im Morgengrauen der Wecker. Ich soll jetzt aufstehen? Ich fühle mich einfach nur schrecklich müde. Ich drücke immer wieder auf die Schlummertaste von meinem Wecker und stehe erst auf, als ich keine andere Wahl mehr habe. Schnell ins Bad, frühstücken, ins Auto und in die Arbeit. Ich bin Zahnarzthelferin geworden, nein, nicht weil ich den Beruf so liebe, sondern weil es ja reicht irgendeinen Job zu machen um sein Geld zu verdienen.
Meine Kolleginnen sind anscheinend perfekt. Immer flink, immer ein Lächeln, immer anwesend – ja auch mit einer schweren Grippe, Kopfschmerzen oder unmittelbar nach einer Fehlgeburt. Ich fühle mich ungenügend, furchtbar erschöpft, kann mich nicht konzentrieren, merke, dass ich diesen Ansprüchen hier gar nicht mehr gerecht werden kann. Aber ich zwinge mich weiter. Ich weiß, dass mein Chef ein gnadenloser Perfektionist ist, der nicht davor zurückschreckt mir auf den Rücken zu hauen, wenn ich ein Instrument nicht so hingelegt habe, wie er es sich wünscht. Ich fühle nur Druck und Angst und Schuld – die feste Überzeugung nicht gut genug zu sein.
Ich schaue ständig auf die Uhr – wieder sind fünf Minuten rum und wieder ist eine halbe Stunde vergangen – ich fühle eine winzig kleine Erleichterung, wenn wieder etwas Zeit von meiner endlosen Qual vorüber ist.
Die Vormittasgsprechstunde ist rum. Ich hetzte zum Auto fahre nach Hause. Meine Mutter hat schon etwas für mich gekocht. Ich esse, der Geschmack des Essens befriedigt mich ein wenig. Ich esse zuviel, wie immer, und leide trotzdem unter chronischem Untergewicht. Jetzt noch ein bisschen hinlegen und einfach nur schlafen. Ich nicke kurz ein und schon bin ich wieder wach. Noch fünf Minuten, noch drei Minuten, noch eine Minute – Mist! Ich bin wieder zu spät dran.
Die Nachmittagsprechstunde verläuft genauso, wie der Vormittag – Druck und Angst, der sehnsüchtige Wunsch, dass die Zeit doch vergehen möge … 18.00 Uhr es ist geschafft, aber halt, heute ist noch Gottesdienst. Ich habe Brotzeit dabei und schicke Klamotten. Ich esse in der Praxis und ziehe mich um. Für eine Pause ist keine Zeit mehr.
Dann ist Gottesdienst – ich sitze unter 100 Menschen, die anscheinend den Tag gut geschafft haben, besser als ich, und fröhlich lachend das Zusammensein genießen. Ich habe es nicht so drauf mit dieser Fassade und deshalb höre ich immer und immer wieder den gleichen Satz: „Schau nicht so ernst!“ Wie ich diesen Satz hasse.
Ich sitze beklemmt auf meinem Stuhl. Zwei Stunden Belehrung liegen vor mir. Zwei Stunden in denen ich nichts anderes hören werde als: “Tu dein Bestes!“ Mir schnürt es den Hals zu, das Atmen fällt mir schwer, die Hände fangen an zu kribbeln – ich kämpfe gegen die Ohnmacht an. Wieder das gleiche Spiel – ich schaue auf die Uhr und wünsche mir wieder, die Zeit möge doch vergehen. Einfach heimgehen – nein – auch nur einen Schritt zurückgehen, einfach mal ein klein wenig locker lassen – das gibt es in meinem Leben nicht. Ich weiß gar nicht was das ist. Niemand erkennt, dass ich unendlich leide.
Gegen 21.30 Uhr bin ich dann zu Hause. Ich bin erschöpft. Ich weiß nicht, wann es schlimmer ist, morgens wenn ich zum erstenmal die Augen öffne oder abends, wenn ich den Tag hinter mir habe. Ich fühle nur noch endlose körperliche und seelische Schmerzen in mir. Ich gehe schlafen. Ich habe keine Aussicht auf eine ruhige Nacht. Ich nehme mir vor besser zu werden, noch disziplinierter, noch zielstrebiger, noch härter gegen mich – das ist mein Ausweg. Wenn ich das hinkriege, dann wird endlich alles gut.
Noch eine schlaflose Nacht, der Wecker klingelt wieder …
Das war nur ein Tag von tatsächlich 40 Jahren.
Während ich das hier schreibe, klopft mein Herz, ich habe eiskalte Hände, meine Finger fühlen sich steif an. Sie können die Tasten fast nicht mehr runterdrücken, ich fühle die Hilflosigkeit und grenzenlose Not von damals wieder ….. aber jetzt weiß ich, dass es vorbei ist.
Der Tag, der mein Leben gerettet hat
Es ist der 12. Juni 2015 – zu dieser Zeit bin ich ein seelisches und körperliches Wrack – fünf Jahre schon. Mein Mann pflegt mich Tag und Nacht. Es ist schon Abend als er mir plötzlich sagt: „Jetzt lern endlich mal deine Gefühle auszudrücken!“ Er klingt sehr bestimmt. Meine erste Reaktion war: „Ich? Gefühle ausdrücken? Wie geht das?“ Das macht mir furchtbar Angst, aber mir ist klar, dass das so nicht mehr weitergehen kann.
Ich setze mich auf mein Bett und schlage einfach ganz mechanisch auf das Kopfkissen ein. Ich habe eigentlich gar keine Ahnung, was ich da tue. Aber in diesem Augenblick spüre ich einen kleinen Funken von irgendetwas in der Bauchgegend. Das tut gut. Ich spüre instinktiv – da geht es lang. Die nächsten Tage und Wochen verbringe ich mit „Gefühle-ausdrücken“. Ich schreibe alles auf, was mir so durch den Kopf geht – ich schreibe ganze Bücher voll. Ich knülle Papier zusammen und knalle es in die Ecke. Ich fülle Wasserflaschen und leere sie wieder aus. Ich rede laut mit mir selber. Ich schreie, ich wüte, ich male. Das geht 3 Monate so. In dieser Zeit geht es mir schon etwas besser.
Ich kann sogar wieder alleine an den See fahren und dort ein paar Stunden verbringen. Das sind die ersten Hoffnungsschimmer in meinem Leben. Ich fühle, wie ich eine gewisse Handlungsfähigkeit wiedererlange.
Dann, es ist Ende August, spüre ich, dass mein Unterbewußtsein aber immer noch voll ist, mit den schlimmen Erlebnissen und Überforderungen meines Lebens. Ich merke nämlich, dass es bei jeder Gelegenheit überschwappt und große Probleme verursacht. Ich will es „ausleeren“. Wie leert man ein übervolles Unterbewußtsein aus? Ich weiß es nicht – aber das weiß es wohl selber. Ein paar Tage später fange ich an zu weinen – stundenlang. Es fühlt sich an, als ob ich nie mehr damit aufhören könnte, die Schmerzen sind unendlich stark.
Ich übergebe mich ca. 30 mal in diesen Wochen, ich weine wieder, ich habe unerträgliche seelische Schmerzen, die soweit gehen, dass ich das Bedürfniss habe die Kettensäge zu holen, um mir damit den Arm abzusägen – das fühlt sich nach Befreiung an. Nein, ich will nicht sterben, diesmal nicht. Dann würde ich ja die Schmerzen nicht mehr spüren – es ist total verrückt.
Mein Leben, meine Erlebnisse ziehen, wie ein unendlicher Kinofilm, an mir vorüber immer und immer wieder. Ich erlebe mein gesamtes Leben nochmal, diesmal mit all den dazugehörigen Gefühlen, die ich die ganze Zeit unterdrückt hatte. Ein Horrorstreifen, den ich mir nicht freiwillig anschauen würde.
Der Boden in unserem Bad wird mir zum Freund. Es fühlt sich an, wie wenn er mich trösten würde. Ich verliere trotzdem all meine Kraft. Ich weiß nicht mehr, wie ich vom Garten wieder ins Haus kommen soll. Zu diesem Zeitpunkt bin ich nich mal mehr fähig mit meiner Therapeutin zu telefonieren. Ich leide einfach alleine. Meinen Mann schicke ich zeitweise auch noch weg, da ich weiß dass mir jetzt niemand mehr helfen kann.
Eines abends sitze ich auf dem Sofa und bin so schwach, dass es sich nach sterben anfühlt.
Ich spüre in dieser Zeit ganz deutlich die Hilfe von oben. Ich frage – er antwortet, ich frage – er antwortet, ich frage wieder und er antwortet wieder, wie ein Therapeut, der immer direkt hinter mir steht. In dieser Zeit wird mir der Schöpfer des Universums zum Freund und das ist bis heute so geblieben.
Das ganze geht über einen Zeitraum von 10 Wochen. Für mich fühlt es sich an, wie wenn ich an den Grenzen von dem, was ein Mensch so aushält gewesen wäre – ein echter Alptraum. Es ist das Schlimmste, was ich jemals erlebt habe und doch fühle ich, dass das mein Weg in die Freiheit ist. 40 Jahre unterdrückte und ignorierte Gefühle können echt brutal sein!
Nach 10 Wochen ist alles vorüber. Von heute auf morgen bin ich befreit von schwersten Depressionen, unbeherrschbaren Ängsten, Schlaflosigkeit, Zwängen und ich brauche die vielen Medikamente nicht mehr (nach 8 Monaten Absetzphase). Es kam von diesem Wahnsinn auch nie mehr etwas zurück. Bin ich froh!!!
Der 12. Juni 2015 war für mich der Tag, an dem ich den kleinen Funken spürte, der alles für mich veränderte. Für mich gibt es sie, die Wunder, denn heute bin ich ein glücklicher Mensch mit einem spannenden und erfüllten Leben und ich bin wirklich froh, noch am Leben zu sein – denn es ist wunderschön …
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